Lama A. Govinda - Biographie
Der 14. Dalai Lama: "Anagarika
Govinda hat viel geleistet, um unter Menschen im Westen
ein Interesse an der Kultur und Religion Tibets zu schaffen
und zu fördern." (zum 75. Geburtstag 1973)
K. C. Ayang Rinpoche: "Lama
Govinda besaß ein großes Wissen über
den tibetischen Buddhismus und die tibetische Kultur;
er war ein vollendeter Praktiker und erlangt tiefe Verwirklichung."
(aus der Kondolenzadresse 1985)
Luise Rinser: "Ich wusste
nicht, wer dieser Govinda ist, aber seine Antworten
waren diejenigen, die mir (obgleich ich katholisch
bin und mich viele Jahre mit Theologie beschäftigt
habe) den tiefsten Eindruck machten und die mir so
entsprachen, als kämen sie aus mir selbst. [
]
Seine Sprache und die ihr zugrundeliegende Denkmethode
waren europäisch. Mit dieser Methode kann er
uns Europäern schwierigste östliche Inhalte
nahebringen, ohne sie unerlaubt zu vereinfachen und
ohne tiefe Geheimnisse zu bloßer 'Lebensphilosophie'
zu verdünnen."
Anagarika Govinda, der unter diesem Namen
in Indien eingebürgert wurde, kam als Sohn eines
deutschen Vaters und einer bolivianischen Mutter am
17. Mai 1898 in Waldheim in Sachsen zur Welt. Sein Geburtsname
lautete Ernst Lothar Hoffmann.
Bereits zu seiner Schulzeit von religiösen Fragen
fasziniert, beschäftigte er sich durch intensive
Literaturstudien mit den Weltreligionen Buddhismus und
Christentum. Das Ergebnis dieser frühen Auseinandersetzung
erschien 1920 in Leipzig in Buchform als Die Grundgedanken
des Buddhismus und ihr Verhältnis zur Gottesidee.
Um direkten Zugang zu den alten buddhistischen Texten
zu gewinnen, lernte er im Selbststudium die Pâli-Sprache.
Im Ersten Weltkrieg als Soldat eingezogen, erkrankte
er an Tuberkulose. Nach der Entlassung aus dem Sanatorium
studierte er Philosophie an der Universität Freiburg
im Breisgau, gab dies aber auf, um als Künstler
zu leben. In der internationalen Künstlerkolonie
auf Capri ließ er sich als Maler und Lyriker nieder.
Neben zahlreichen Landschaftsgemälden und abstrakten
Bildern entstanden die Gedichtbände Rhythmische
Aphorismen (1926) und Gedanken und Gesichte (1927).
1928 reiste er auf die Insel Ceylon (heute Sri Lanka),
um buddhistischer Mönch zu werden. Doch mit den
ihn als Künstler stark beschränkenden Vorschriften
für Mönche konfrontiert, verzichtete er auf
diesen Weg und lebte seither als "Anagarika",
wörtlich "Hausloser". Bei der entsprechenden
Ordination erhielt er von dem auf Ceylon lebenden ersten
deutschen buddhistischen Mönch Nyanatiloka den
Namen Govinda.
Anagarika Govinda betrieb bis 1932 die Gründung
und Entwicklung einer "International Buddhist Union",
in der er buddhistische Organisationen aus Asien und
Europa zusammenführen wollte. 1931 bis 1937 arbeitete
er als Lektor an indischen Universitäten. An der
Universität Vishva Bhârati kam er in engen
Kontakt mit dessen Gründer, dem Literatur-Nobelpreisträger
Rabindranath Tagore (1861-1941). Vorlesungen über
buddhistische Psychologie an der Universität Patna
erschienen 1939 als The Psychological Attitude of
Early Buddhist Philosophy.
Im Anschluss an eine Konferenz indischer Buddhisten
in Darjeeling saß Govinda wegen eines langen Unwetters
mehrere Tage im tibetischen Kloster Yiga Chöling
fest. Dies führte zu seiner Begegnung mit dem Gelehrten
und Mystiker Lama Ngawang Kalzang (1866-1936), der auch
unter dem Namen Tomo Geshe Rinpoche bekannt war und
den man als einen herausragenden Meister des tibetischen
Buddhismus der Gelugpa-Schule schätzte. Govinda
wurde ein Schüler Ngawang Kalzangs, der ihm bei
seiner ersten Unterweisung folgende Gedanken als Grundlage
des spirituellen Weges vermittelte:
"Je größer unsere eigene Unvollkommenheit
ist, desto mehr sind wir geneigt, die Fehler anderer
zu sehen, während diejenigen, die eine tiefere
Einsicht gewonnen haben, durch diese Fehler hindurch
sehen können in die wahre Natur anderer Wesen.
Die größten Menschen waren darum jene, die
die göttlichen Qualitäten in ihren Mitmenschen
erkannten und jederzeit bereit waren, selbst den Unscheinbarsten
unter ihnen Achtung zu zollen. Solange wir uns anderen
überlegen dünken und auf die Welt herabschauen,
können wir keinen wirklichen Fortschritt machen.
Sobald wir aber zur Einsicht gelangen, dass wir in genau
der Welt leben, die wir verdienen, werden wir die Fehler
anderer als unsere eigenen empfinden - selbst wenn sie
in anderer Form als bei uns selbst in Erscheinung treten.
Es ist unser eigenes Wirken, dass wir in dieser unvollkommenen
Welt leben, denn sie ist im letzten Sinn unsere eigene
Schöpfung. Nur eine solche Haltung kann uns helfen,
unsere Schwierigkeiten zu überwindn, denn sie ersetzt
fruchtlose Negierung durch den positiven Impuls zur
Vervollkommnung, der uns nicht nur einer besseren Welt
würdig, sondern zu Mitwirkenden und Teilhabern
an ihrer Schöpfung macht."
Mit diesen Worten war ein wichtiges Prinzip formuliert:
Anderes nicht aus der eigenen Position be- oder verurteilen,
sondern durch Konzentration auf die Stärken der
bedeutenden Traditionen Asiens deren grundlegende Werte
erkennen. Dies stellt den eigenen Standort in Frage,
ermöglicht aber gerade dadurch dessen klarere Bestimmung.
Zudem gewährt solches Lernen die Chance auf wertvolle
Impulse zum eigenen Wachstum.
Lama Ngawang Kalzang schulte Govinda, der ihm lebenslang
verbunden blieb, besonders intensiv in der Meditation.
Nach dem Tod seines Lehrers erhielt Anagarika Govinda
ergänzende Ausbildungen durch die Äbte Lotho
Gyalbo Rinpoche und Ajo Repa Rinpoche, wodurch er auch
mit der Meditationspraxis der Schulen der Nyingmapa
und Kagyüpa des tibetischen Buddhismus vertraut
wurde.
Von 1932 bis 1949 führten mehrere Reisen Anagarika
Govinda zu Forschungen über die religiöse
Kunst sowie zum spirituellen Lernen nach Tibet und durch
den von Tibetern besiedelten Himalaja-Raum. Unterbrochen
wurde diese Zeit von einer Internierung während
des Zweiten Weltkriegs. Obwohl im Besitz der britisch-indischen
Staatsbürgerschaft wurde Govinda wegen seiner Nähe
zur indischen Unabhängigkeitsbewegung um Mahâtma
Gandhi mit den deutschen Staatsangehörigen in Indien
festgesetzt.
Er nutzte die Jahre im Lager zur intensiven
Meditation und zum Studium buddhistischer Quellentexte
gemeinsam mit seinem lebenslangen Freund Nyanaponika,
einem buddhistischen Mönch deutscher Herkunft.
1947 heiratete Govinda die unter dem Namen Li Gotami
bekannte parsisch-indische Künstlerin Ratti Petit,
die an allen seinen Aktivitäten regen Anteil nahm.
Mit ihr unternahm er 1947-1949 die "Tsaparang-Expedition"
nach Süd-, Zentral- und West-Tibet.
Govinda lebte mit seiner Frau fortan ein zurückgezogenes
Leben der Meditation, des Schreibens und des Malens
im nordindischen Almora, wo viele Artikel und Bücher
entstanden. Sein Buch The Way of the White Clouds (London 1966), deutsch: Der Weg der weißen
Wolken (Zürich 1969), das seine Erlebnisse
und inneren Erfahrungen in Tibet schildert, und das
vorangegangene Werk Grundlagen tibetischer Mystik (Zürich 1956) machten Anagarika Govinda weltweit
in spirituell interessierten Kreisen bekannt. Er wurde
darum seit den sechziger Jahren wiederholt zu Vortragsreisen
nach Amerika und Europa eingeladen. Dabei eingehende
Geldmittel widmete er dem Zweck, auf seinem Anwesen
in Almora einen Tempel als kulturelles Zentrum der Tibeter
in den Kumaon-Bergen des Himalaja zu schaffen.
Auf seinen Reisen nach Europa und Amerika
schloss oder festigte Anagarika Govinda auch Freundschaften
mit Persönlichkeiten im Westen, mit denen ihn
ein geistiger Austausch verband, darunter der Schweizer
Philosoph Jean Gebser (1905-1973), der Zen- und Daoismus-Interpret
Alan Watts (1915-1973), der Pionier der transpersonalen
Psychotherapie Roberto Assagioli (1988-1974) und der
Schriftstellerin Luise Rinser (1911-2002).
Lama Anagarika Govinda beschränkte sich auf die
Unterweisung eines kleinen Schülerkreises, den
er in die von ihm in Tibet empfangenen Lehren und
seine eigenen daraus erwachsenen Erkenntnisse und
Projekte einführte. Unter seinen Schülern,
die wie er literarisch hervortraten, finden sich der
Theaterschauspieler und Yoga-Lehrer Hans-Ulrich Rieker
(1920-1979) mit Büchern wie Geheimnis der
Meditation (1953) und Die zwölf Tempel
des Geistes. Weisheit und Technik der Yogasysteme (1955) sowie der Philosoph und Religionswissenschaftler
Volker Zotz (u.a. Buddha 1991, Geschichte
der buddhistischen Philosophie 1996).
Als sich Govindas Gesundheitszustand während
eines Aufenthaltes in Kalifornien verschlechterte,
beschloss er, dort seine letzten Lebensjahre zu verbringen.
Das Zen Center San Francisco stellte ihm und seiner
Frau ein Haus zur Verfügung. Hier entstanden
als Spätwerk zahlreiche Bücher, Bilder und
andere Arbeiten zum Buddhismus und Daoismus. Darunter
befindet sich das Werk The Inner Structure of the
I Ching (San Francisco 1981), eine Studie über
das chinesische Buch der Wandlungen. Lama Anagarika
Govinda verstarb am 14. Januar 1985 im kalifornischen
Mill Valley.
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